April 29, 2008

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in der gemeinschaftlichen Rechtsordnung.

Zum Aufbau Europas haben die (jetzt 27) Mitgliedstaaten Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und dann einer Europäischen Union geschlossen, deren Organe in bestimmten Bereichen Rechtsvorschriften erlassen.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist das gemeinschaftliche Rechtsprechungsorgan. Er besteht aus drei Gerichten: dem Gerichtshof, dem Gericht erster Instanz und dem Gericht für den öffentlichen Dienst. Ihre Hauptaufgabe ist es, die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Gemeinschaft zu überprüfen und eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.

In seiner Rechtsprechung hat der Gerichtshof die Verpflichtung der nationalen Behörden und Gerichte herausgearbeitet, das Gemeinschaftsrecht in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen umfassend anzuwenden und die Rechte zu schützen, die es den Bürgern verleiht (unmittelbare Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts); dazu haben diese eine gegebenenfalls dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts außer Anwendung zu lassen, gleichgültig, ob sie zeitlich vor oder nach der Gemeinschaftsvorschrift liegt (Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht).

Der Gerichtshof hat ferner den Grundsatz der Haftung der Mitgliedstaaten für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht anerkannt, der zum einen ein Element darstellt, das den Schutz der den Einzelnen aus den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften erwachsenden Rechte verstärkt, und zum anderen einen Faktor, der dazu beitragen kann, dass die Mitgliedstaaten diese Vorschriften sorgfältiger umsetzen. Die Verstöße der Mitgliedstaaten können somit zu Schadensersatzansprüchen führen, die sich in manchen Fällen erheblich auf deren öffentliche Finanzen auswirken können. Verstöße eines Mitgliedstaats gegen Gemeinschaftsrecht können außerdem vor dem Gerichtshof geltend gemacht werden, der den Mitgliedstaat bei unterbliebener Durchführung eines Urteils, mit dem ein solcher Verstoß festgestellt worden ist, zur Zahlung eines Zwangsgelds und/oder eines Pauschalbetrags verurteilen kann.

Der Gerichtshof arbeitet auch mit den nationalen Gerichten zusammen, den für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zuständigen Rechtsprechungsorganen. Jedes nationale Gericht, das einen Rechtsstreit mit Bezug zum Gemeinschaftsrecht zu entscheiden hat, kann – und muss u. U. – dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen. Der Gerichtshof hat dann eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts auszulegen oder deren Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

Die Entwicklung seiner Rechtsprechung macht den Beitrag des Gerichtshofes zur Schaffung eines Rechtsraums für die Bürger deutlich, in dem die Rechte geschützt sind, die ihnen in verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsen.

Von der Rechtsprechung entwickelte Grundsätze

Das Urteil Van Gend & Loos von 1963 ist Ausgangspunkt der Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Grundsatz der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten, der es den europäischen Bürgern ermöglicht, sich vor den nationalen Gerichten unmittelbar auf gemeinschaftsrechtliche Vorschriften zu berufen.

Die Spedition Van Gend & Loos musste für die Einfuhr von Waren aus Deutschland in die Niederlande Zölle entrichten, die ihrer Meinung nach gegen die Bestimmung des EWG-Vertrags verstießen, wonach Mitgliedstaaten die in ihren gegenseitigen Handelsbeziehungen angewandten Zölle nicht erhöhen dürfen. Die Klage warf die Frage nach dem Konflikt zwischen nationalen Rechtsvorschriften und den Bestimmungen des EWG-Vertrags auf. Auf Ersuchen eines niederländischen Gerichts beantwortete der Gerichtshof die Frage, indem er die Lehre von der unmittelbaren Wirkung bestätigte und damit gewährleistete, dass die Spedition ihre Rechte aus dem Gemeinschaftsrecht unmittelbar vor dem nationalen Gericht geltend machen konnte.

1964 wurde mit dem Urteil Costa der Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem innerstaatlichen Recht festgestellt. In dieser Rechtssache hatte ein italienisches Gericht den Gerichtshof gefragt, ob das italienische Gesetz über die Verstaatlichung des Bereichs der Erzeugung und Verteilung von elektrischer Energie mit einigen Bestimmungen des EWG-Vertrags vereinbar sei. Der Gerichtshof führte die Lehre vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts ein, wobei er sich auf die Besonderheit der Gemeinschaftsrechtsordnung berief, die in allen Mitgliedstaaten einheitlich angewandt werden müsse.

Im Urteil Francovich u. a. entwickelte der Gerichtshof ein weiteres grundlegendes Konzept, das der Haftung eines Mitgliedstaats gegenüber dem Einzelnen für Schäden, die diesem durch einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht durch diesen Staat entstanden sind. Seit 1991 können Unionsbürger einen Staat, der gegen eine gemeinschaftsrechtliche Bestimmung verstoßen hat, auf Schadensersatz verklagen.

Zwei italienische Bürger, denen ihre in Konkurs gefallenen Arbeitgeber Lohnzahlungen schuldeten, hatten sich mit ihren Klagen darauf berufen, dass der italienische Staat die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht umgesetzt hatte. Auf Vorabentscheidungsersuchen eines italienischen Gerichts stellte der Gerichtshof fest, dass den Einzelnen mit der fraglichen Richtlinie Rechte gewährt werden sollten, die ihnen jedoch durch die Untätigkeit des Staates, der die Richtlinie nicht umgesetzt hatte, versagt worden waren, und ebnete so den Weg für eine Schadensersatzklage gegen den Staat selbst.

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