April 29, 2008

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

Zusammensetzung:


Der Gerichtshof besteht aus 27 Richtern und 8 Generalanwälten. Die Richter und Generalanwälte werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen auf sechs Jahre ernannt; Wiederernennung ist zulässig. Sie sind unter Juristen auszuwählen, die jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten und in ihrem Staat die für die höchsten richterlichen Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllen oder sonst hervorragend befähigt sind.

Die Richter des Gerichtshofes wählen aus ihrer Mitte für die Dauer von drei Jahren den Präsidenten des Gerichtshofes; Wiederwahl ist zulässig. Der Präsident leitet die rechtsprechende Tätigkeit und die Verwaltung des Gerichtshofes; er führt in den größeren Spruchkörpern den Vorsitz in den Sitzungen und bei den Beratungen.

Die Generalanwälte unterstützen den Gerichtshof. Sie stellen in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ein Rechtsgutachten, die „Schlussanträge“, in den Rechtssachen, die ihnen zugewiesen sind.

Der Kanzler ist der Generalsekretär des Gerichtshofes; er leitet dessen Dienststellen unter der Aufsicht des Präsidenten.

Der Gerichtshof kann als Plenum, als Große Kammer mit dreizehn Richtern oder als Kammer mit drei oder mit fünf Richtern tagen. Als Plenum tagt er in besonderen, in der Satzung des Gerichtshofes vorgesehenen Fällen (u. a. Amtsenthebung des Europäischen Bürgerbeauftragten oder eines Mitglieds der Europäischen Kommission, das seine Amtpflichten verletzt hat), und wenn er zu der Auffassung gelangt, dass eine Rechtssache von außergewöhnlicher Bedeutung ist. Er tagt als Große Kammer, wenn ein Mitgliedstaat oder ein Gemeinschaftsorgan als Partei des Verfahrens dies beantragt, sowie in besonders komplexen oder bedeutsamen Rechtssachen. In den übrigen Rechtssachen entscheiden Kammern mit drei oder fünf Richtern. Die Präsidenten der Kammern mit fünf Richtern werden für drei Jahre gewählt, die Präsidenten der Kammern mit drei Richtern für ein Jahr.


Zuständigkeiten:

Zur Erfüllung seiner Aufgabe wurde der Gerichtshof mit genau definierten Zuständigkeiten ausgestattet, die er im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens und verschiedener Klagearten wahrnimmt.

Die einzelnen Verfahrensarten

  • Vorabentscheidungsersuchen

Der Gerichtshof arbeitet mit allen Gerichten der Mitgliedstaaten zusammen; diese sind die für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zuständigen Gerichte. Um eine tatsächliche und einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen und divergierende Auslegungen zu verhindern, können (und müssen mitunter) nationale Gerichte sich an den Gerichtshof wenden und ihn um eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts bitten, um etwa die Vereinbarkeit ihrer nationalen Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht prüfen zu können. Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens kann auch die Prüfung der Gültigkeit eines Gemeinschaftsrechtsakts sein.

Der Gerichtshof antwortet nicht durch ein bloßes Gutachten, sondern durch Urteil oder mit Gründen versehenen Beschluss. Das nationale Gericht, an das das Urteil oder der Beschluss gerichtet ist, ist bei der Entscheidung in der bei ihm anhängigen Sache an die Auslegung des Gerichthofes gebunden. In gleicher Weise bindet das Urteil des Gerichtshofes andere nationale Gerichte, die mit demselben Problem befasst werden.

Das Vorabentscheidungsersuchen bietet ferner jedem Unionsbürger die Möglichkeit, den genauen Inhalt der ihn betreffenden Normen des Gemeinschaftsrechts feststellen zu lassen. Zwar können nur nationale Gerichte den Gerichtshof mit einem solchen Ersuchen befassen, doch können an dem Verfahren vor dem Gerichtshof alle Beteiligten des Ausgangsverfahrens, die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaftsorgane teilnehmen. Verschiedene tragende Grundsätze des Gemeinschaftsrechts sind auf diese Weise aufgrund von Vorabentscheidungsersuchen – zum Teil erstinstanzlicher Gerichte – vom Gerichtshof festgestellt worden.

  • Klage wegen Vertragsverletzung

In diesem Verfahren prüft der Gerichtshof, ob die Mitgliedstaaten ihren gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen sind. Der Anrufung des Gerichtshofes geht ein von der Kommission eingeleitetes Vorverfahren voraus, das dem Mitgliedstaat Gelegenheit gibt, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern. Führt dieses Vorverfahren nicht zur Abstellung der Vertragsverletzung durch den Mitgliedstaat, kann beim Gerichtshof eine Vertragsverletzungsklage erhoben werden.

Diese Klage kann von der Kommission – dies ist in der Praxis der häufigste Fall – oder von einem Mitgliedstaat erhoben werden. Stellt der Gerichtshof die Vertragsverletzung fest, so ist der betreffende Staat verpflichtet, sie unverzüglich abzustellen. Stellt der Gerichtshof nach einer erneuten Anrufung durch die Kommission fest, dass der betreffende Mitgliedstaat seinem Urteil nicht nachgekommen ist, so kann er ihm die Zahlung eines Pauschalbetrags und/oder Zwangsgelds auferlegen.

  • Nichtigkeitsklage

Mit der Nichtigkeitsklage beantragt der Kläger die Nichtigerklärung einer Handlung eines Organs (Verordnung, Richtlinie, Entscheidung). Dem Gerichtshof vorbehalten sind die Klagen, die von einem Mitgliedstaat gegen das Europäische Parlament und/oder den Rat erhoben werden (ausgenommen Handlungen des Rates betreffend staatliche Beihilfen, Dumping und Durchführungsbefugnisse), sowie Klagen eines Gemeinschaftsorgans gegen ein anderes. Für sonstige Nichtigkeitsklagen, insbesondere Klagen von Einzelpersonen, ist im ersten Rechtszug das Gericht erster Instanz zuständig.

  • Untätigkeitsklage

Mit dieser Klage kann die Rechtmäßigkeit der Untätigkeit eines Gemeinschaftsorgans überprüft werden. Sie kann jedoch erst erhoben werden, nachdem das Organ zum Tätigwerden aufgefordert wurde. Wird festgestellt, dass die Unterlassung rechtwidrig war, obliegt es dem betreffenden Organ, die Untätigkeit durch geeignete Maßnahmen zu beenden. Die Zuständigkeit für Untätigkeitsklagen ist zwischen dem Gerichtshof und dem Gericht erster Instanz nach denselben Kriterien aufgeteilt wie bei den Nichtigkeitsklagen.

  • Rechtsmittel

Beim Gerichtshof können auf Rechtsfragen beschränkte Rechtsmittel gegen Urteile des Gerichts erster Instanz eingelegt werden. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts erster Instanz auf. Ist die Rechtssache zur Entscheidung reif, kann der Gerichtshof den Rechtsstreit selbst entscheiden. Andernfalls muss er die Rechtssache an das Gericht zurückverweisen, das an die Rechtsmittelentscheidung gebunden ist.

  • Überprüfung

Entscheidungen des Gerichts erster Instanz über Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Gerichts für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union können in Ausnahmefällen Gegenstand einer Überprüfung durch den Gerichtshof sein.




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